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4. Workshop - „Demenz verstehen“
Im Labor kamen wir gut voran und unser Wissen rund um die Alzheimer-Krankheit war bereits deutlich gewachsen. Um mehr über die psychosozialen Aspekte der Krankheit zu erfahren, luden wir eine Expertin im Umgang mit erkrankten Personen ein: Frau Dr. Helga Schloffer, ihres Zeichens klinische Gesundheits- und Arbeitspsychologin.
Nach einer netten und herzlichen Kennenlern-Runde wiederholte Frau Dr. Helga Schloffer mit uns zunächst die Entstehung von Alzheimer. Sie erzählte uns die Geschichte von Alois Alzheimer und seiner Patientin Auguste Deter. Doch dann kamen wir schnell zum eigentlichen Thema unseres Workshops: den sozialen Interaktionen zwischen Alzheimer-PatientInnen und ihrem sozialen Umfeld.
Wir wurden in drei Gruppen eingeteilt. Die erste Gruppe bekam die Aufgabe, eine ältere Dame zu „entwerfen“, die anschließend durch die verschiedenen Stadien einer Demenzerkrankung begleitet werden sollte. Die beiden anderen Gruppen zeichneten zwei nahestehende Personen dieser Dame, nämlich ihre Enkelin und ihren Sohn. Unsere Dame hieß Rosa Haderer, wir malten sie nicht nur, sondern erfanden auch einen Lebenslauf für sie, damit wir sie uns gut vorstellen konnten. Zweck dieser Übung war es, die Veränderungen im sozialen Umfeld einer an Alzheimer erkrankten Person zu veranschaulichen. Wir sollten sehen, wie schnell sich durch die Krankheit alles ändern kann.
Einige von uns erarbeiteten das weitere soziale Umfeld von Frau Haderer, z.B. ihren Lebensabschnittspartner, ihre beste Freundin, den Pfarrer, die Verkäuferin beim Spar, den Gärtner, die Apothekerin, die Nachbarin, usw.. Je näher die jeweilige Person Frau Haderer stand, desto näher war sie ihr auch auf unserer Zeichnung. Wir entwarfen die Konstellation vor dem Ausbruch der Erkrankung.
Anschließend erzählte uns Frau Dr. Schloffer den Verfall unserer Rosa Haderer. Sie werde immer vergesslicher und verlege ihren Schmuck, den ihr Sohn an den unmöglichsten Stellen wiederfinde. Die Schuld gebe Rosa immer den anderen. Sie vergesse ihre Termine beim Arzt und sogar das wöchentliche Teetrinken mit ihrer besten Freundin. „Naja, die Oma ist ja auch nicht mehr die Jüngste“, begründe die Enkelin das sonderbare Verhalten ihrer Großmutter. Dann werde es immer schlimmer. Sie vergesse, die Blumen zu gießen und ihre geliebte Katze zu füttern. Ihr Sohn wolle schließlich mit ihr zum Arzt gehen, da er schon Alzheimer vermute, doch Rosa Haderer weigere sich strikt: „Ich brauche eure Hilfe nicht. Ich bin ja nicht blöd.“ Sie werde zunehmend aggressiver und sei schon mit alltäglichen Herausforderungen überfordert. Nach einem langen Hin-und-her sei dennoch die Diagnose festgestanden: Frau Haderer habe Alzheimer im Anfangsstadium.
Für einige von uns war es anfangs schwer nachzuvollziehen, warum erkrankte Menschen ihren immer schlechter werdenden Zustand verleugnen und schönreden, doch mit der Zeit wurde uns klar, dass sie selbst oft nicht wissen, was mit ihnen los ist und mitunter sehr verängstigt sind.
Da sich keiner von uns so richtig vorstellen konnte, wie ein Test zur Diagnose von Demenz abläuft, zeigte uns Frau Dr. Schloffer einen kurzen Ausschnitt aus einem Alzheimertest, nämlich aus dem „Mini-Mental-Status-Test“. Wir bildeten Zweierteams und stellten eine entsprechende Szene nach. Einer im Team übernahm die Rolle der Testerin / des Testers, die/der andere wurde „überprüft“. Wir stellten fest: obwohl die Fragen für einen gesunden Menschen recht einfach zu beantworten sind, kommt man trotzdem leicht ins Schwitzen, weil man natürlich nichts falsch beantworten möchte. Die Vorstellung, dass Menschen ein großes Problem mit dem Zeichnen einer Uhr haben können, war für manche von uns anfangs seltsam.
Schließlich überlegten wir uns, wie sich das zuvor entworfene soziale Umfeld angesichts der Diagnose wohl verändern würde. Wir stellten uns die Frage: „Können Familie und Partner mit dieser Situation umgehen? Sind sie bereit, Frau Haderer zu betreuen oder soll sie doch besser in ein Heim?“ Angesichts der Diagnose Alzheimer ist das eine sehr häufige Frage. Jeder von uns versuchte sich in die Lage der Angehörigen zu versetzen und wir überlegten, wie wir handeln würden. Gemeinsam entschieden wir, dass Frau Haderer zu ihrem Partner ziehen solle, da er genug Zeit und Geduld habe, sich rund um die Uhr um sie zu kümmern. Doch auch der Rest der Familie, so beschlossen wir, rücke nun näher zusammen und unterstütze Frau Haderer wo es nur gehe. Wir nahmen die entsprechenden Änderungen an unserem Bild vor: Die guten Bekannten und Freunde verschwanden immer mehr, sie kamen in unserer Vorstellung mit der neuen Situation nicht zurecht. Gleichzeitig rückten Hausarzt und Pflegepersonal näher an Rosa Haderer heran. Und auch der Pfarrer wurde wichtiger, weil unsere Frau Haderer ein sehr gläubiger Mensch war. Es fiel uns nicht leicht, dabei „zuzuschauen“, wie sich die Alltagsbeziehungen unserer Rosa Haderer auflösten.
Weiters versuchten wir, das Stadium der Demenzerkrankung Alzheimer bei Rosa Haderer zu benennen. Dabei stellten wir fest, dass die Grenzen sehr fließend sind und die Einteilungen recht willkürlich. Gemeinsam gestalteten wir ein großes Plakat und besprachen noch einmal mit Frau Dr. Schloffer die Merkmale der einzelnen Stadien laut Lehrbuch.
„Wie das wohl ist, wenn man sich ohne Sprechen verständigen muss?“ – diese Frage stellte einer von uns in den Raum. In den fortgeschrittenen Stadien der Krankheit können die PatientInnen ja oft schon nicht mehr reden und müssen sich mit ihren BetreuerInnen auf andere Arten, z. B. mittels Körpersprache, verständigen. Das wollten wir auch mal ausprobieren. Wiederum bildeten wir Zweierteams, dann stellten wir uns Rücken an Rücken. Einer schloss die Augen und man durfte nicht sprechen. Die erste Hürde war bereits, sich ohne Worte auszumachen, wer die/der Führende sei und wer die/der Geführte. Für die meisten von uns war das Geführtwerden das angenehmere Gefühl, da man sich dabei zurücklehnen konnte, wobei es sich auch als Vertrauensprobe herausstellte. Das Führen erwies sich trotzdem als tendenziell schwieriger: Man musste nämlich recht gut einschätzen können, ab wann für die andere Person eine bestimmte Bewegung unangenehm würde.
Eine besondere Schwierigkeit im Umgang mit Alzheimer-PatientInnen ist es, dass deren eigener Wille natürlich immer zu berücksichtigen ist. Mit dem Fortschreiten der Krankheit werden die eigenen Wünsche und Gefühle sogar zunehmend nachdrücklich geäußert. Die Gemütszustände von Alzheimer-PatientInnen können stark schwanken, weil sie sich hauptsächlich auf die Ist-Situation konzentrieren. Die Gemütswelt von Alzheimer-PatientInnen ist darin jener eines Kleinkinds vergleichbar. Mit diesen Stimmungsschwankungen umzugehen ist nicht immer leicht, sollte aber gelernt werden.
Vor allem ist es wichtig, einer erkrankten Person Respekt und Geduld entgegen zu bringen. Diskussionen sollten vermieden werden. Um ins Gespräch zu kommen ist es oft hilfreich, Fragen über die Vergangenheit zu stellen. Schließlich sollte man darauf achten, nicht zu kompliziert oder undeutlich zu sprechen. Für unsere Besuche im Altersheim und in der Geriatrie waren diese Informationen sehr nützlich.
 
 
 
 
 
 
 
Filmvorführung „Ilse, wo bist du?“
„Ilse, wo bist du?“ ist eine 45-minütige Dokumentation von Ulrike Halmschlager. Die Regisseurin hat ihre an Demenz erkrankte Mutter zwischen 2002 und 2006 mit der Kamera begleitet, in den letzten Jahren ihres Lebens. Der Film ist mit sehr viel Liebe und Feingefühl gemacht. Man bekommt einen guten Einblick in jene „Welt des Vergessens“, in der sich die Mutter Ilse befindet. Der Verlauf der Krankheit wird sehr eindrücklich dargestellt. Ohne „ein Blatt vor den Mund zu nehmen“ zeigt Halmschlager den sich verschlechternden Zustand ihrer Mutter in allen Ausprägungen bis zum Tod. Es gibt aber auch fröhliche und liebevolle Szenen, in denen z.B. Ilses Töchter sowie die slowakischen Pflegerinnen auftreten. Der Film zeigt auch viele Kinder-, Jugend- und Familienfotos, wodurch ein sehr berührendes Frauenporträt entsteht.
Der Film „Ilse, wo bist du?“ ist sicherlich eine Bereicherung für Angehörige von demenzerkrankten Personen, denn er vermittelt sehr gut, wie man Betroffene wahrnehmen sollte und wie man sie – trotz allen Schwierigkeiten – integrieren kann.
Das Team des heurigen GBT-Projekts bekam die Möglichkeit, den Film „Ilse, wo bist du?“ mit Ulrike Halmschlager persönlich zu besprechen. Im Anschluss eine Vorführung bei uns an der Schule durften wir alle unsere Fragen der Regisseurin selbst stellen. Die Vorführung selbst war für uns ein echtes „Abenteuer der Gefühle“. Der Film löste bei uns die unterschiedlichsten Emotionen und Gemütszustände aus, von Trauer über Lebensfreude bis hin zu Liebe.
Nach der Vorführung des Films war das gesamte Team recht mitgenommen. Frau Halmschlager bat uns nun, die Augen zu schließen, dann stellte sie uns einige Fragen, wie z.B. „Wie fühlt ihr euch nun nach diesem Film?“, „Wie geht es euch dabei, zu sehen, wie sich der Zustand von Ilse verschlechtert?“, „Hat der Film euren Blick auf demenzerkrankte Menschen verändert?“. Die Fragen von Frau Halmschlager gingen uns ziemlich unter die Haut, es herrschte eine ganz besondere Atmosphäre im abgedunkelten Raum, die manchem wahrlich die Haare zu Berge stehen ließ. Es war sehr erleichternd, dass wir unsere eigenen Gefühle angesichts dieser besonderen Filmerfahrung äußern durften.
Anschließend durften wir selbst unsere Fragen an die Regisseurin richten. Wir fragten sie zunächst nach ihrer persönlichen Sichtweise auf den Film und wie es ihr selbst in den Jahren 2002 bis 2006 gegangen sei. Schließlich wollten wir wissen, wie Ulrike Halmschlager mit kritischen Stimmen umgehe. Sie hatte uns erzählt, dass KritikerInnen in ihrem Film eine Verletzung der Intimsphäre sehen würden. Sie würden dem Film vorwerfen, dass er seine Protagonistin ohne deren Einverständnis vorführe – es sei einfach nicht richtig, den Verfall der eigenen Mutter auf eine Film-Leinwand zu bringen.
Durch diesen Film wurde uns die Demenz-Krankheit noch einmal sehr eindringlich nahegebracht. Diese Dokumentation hat sehr viele Fragen aufgeworfen und wird sicherlich auch in Zukunft noch für viel Gesprächsstoff bei uns sorgen. Auch wenn der Film manche/n von uns an die Grenze der psychischen Belastbarkeit gebracht haben mag, haben wir ihn – nicht zuletzt durch das tolle Gespräch mit Ulrike Halmschlager – gut verarbeiten können und sind nun um eine wertvolle Erfahrung reicher.
Wenn man ein so beeindruckendes Thema als Schulprojekt behandelt und sich damit intensiv befasst, trägt man auch gerne das eine oder andere Gelernte nach Hause. Als ich mit meinen Eltern über das Thema Alzheimer sprach, waren die Reaktionen meiner Mutter und meines Vaters sehr unterschiedlich.
Meine Mutter konnte sich anfangs nicht vorstellen, dass eine erkrankte Person große Auswirkungen auf ein Familiengefüge haben könne. Das Thema Demenz war für sie „Neuland“, sie war deshalb anfangs etwas zurückhaltend. Ich erzählte ihr dann vom Verlauf der Krankheit, von den ersten Symptomen – wie leichten Konzentrationsschwächen und Vergesslichkeit – und von den späteren Stadien. Wir sprachen die Merkmale der einzelnen Stadien miteinander durch.
Doch die wichtigste Frage an diesem Abend war, wer von uns im Ernstfall die Pflege übernehmen würde, wer sich um die Erkrankten kümmern würde. Meine Mutter meinte, diese Frage sei leicht zu beantworten. Sie erklärte, dass es wohl Aufgabe der Kinder sei, „den Eltern die Windeln zu wechseln“, schließlich hätten die Eltern selbiges auch für ihre Kinder gemacht. Mein Vater hingegen meinte, dass die Frage, wer die verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen hätte, wohl erst aus der konkreten Situation heraus zu beantworten sei. Die Entscheidung würde dann vom Stadium der Krankheit, vom Arbeitsleben der Angehörigen sowie von der finanziellen Situation der Familie abhängen.
„Ist es zu viel verlangt, dass sich Kinder um ihre Eltern kümmern, wenn diese an Demenz erkranken?“ – Mit dieser Frage begann eine sehr lange Diskussion, die ich noch länger im Gedächtnis behalten werde.