Auf der menschlichen Zunge befinden sich zahlreiche Geschmackspapillen. Es gibt drei Typen von Papillen auf der Zungenoberfläche, die unterschiedlich verteilt sind. Auf ihnen sind die so genannten Geschmacksknospen angesiedelt. Nur einige der ca. 100 Zellen einer Geschmacksknospe sind die eigentlichen Sinneszellen, also die sogenannten Geschmacksrezeptoren. Diese sind spezielle Empfangsstellen für Geschmacksstoffe, dank derer wir die "Richtung" eines Nahrungsmittels geschmacklich einordnen können in süß, sauer, salzig, bitter und umami. Wir schmecken etwas, wenn lösliche Stoffe die Geschmacksrezeptoren reizen, wodurch ein elektrischer Impuls an das Gehirn weitergegeben wird. Früher sprach man fälschlicherweise von Geschmackszonen. Mittlerweile ist jedoch bekannt, dass jeder Bereich auf der Zunge alle Geschmacksrichtungen wahrnimmt, aber mit jeweils unterschiedlicher Sensibilität. Bei der Erforschung dieser Mechanismen ist die Wissenschaft in jüngster Zeit bedeutend vorangekommen.
Abb. 1 Geschmackspapillen. Quelle: Wolfgang Meyerhof, Deutsches Institut für Ernährungsforschung
Mithilfe der Geschmacksrezeptoren ist der Mensch in der Lage, eine breite Palette an Bitterstoffen zu schmecken. Die Bitterstoffe können nicht in die Geschmacksrezeptoren gelangen, aber sie aktivieren Rezeptormoleküle auf der Außenseite der Rezeptoren, sogenannte TAS2Rs (nach neuerer Nomenklatur hTAS2R, wobei das h für engl. human steht). Ein einzelner Rezeptor kann durch eine Vielzahl chemischer Substanzen aktiviert werden. Die Bitterstoffe ihrerseits sind ebenfalls in der Lage, nicht nur einen, sondern mehrere Rezeptoren zu aktivieren. Bei der Bildung dieser Bitternis-Rezeptoren bedient sich der menschliche Organismus jener "Baupläne", die auf den 25 sogenannten TAS2R Genen in der DNA gespeichert sind. In unserem Projekt haben wir uns genau auf ein Gen aus dieser Familie konzentriert, nämlich das TAS2R38 (= taste receptor, type 2, member 38).
Das TAS2R38 ist ein Gen, das für die Bildung jener Geschmacksrezeptoren verantwortlich ist, die den Bitterstoff PTC bzw PROP schmeckbar machen. Es tritt in verschiedenen Formen auf, insofern es über drei SNPs verfügen kann, d.h. drei Stellen hat, an denen die Basenabfolge der DNA durch Punktmutation geringfügig variieren kann. In Abhängigkeit von den Punktmutationen ändern sich die bei der Synthese verwendeten Aminosäuren, wodurch unterschiedliche Rezeptor-"Bauarten" entstehen. Die unterschiedlichen Bauarten sind der Grund, warum jeder Mensch Bittergeschmack anders wahrnimmt. Von den acht möglichen Formen gelten zwei als Hauptformen. Sie werden PAV und AVI genannt. Die PAV-Variante des TAS2R38-Gens führt zu einer intensiven Bitterwahrnehmung. Besitzt eine Person hingegen die mutierte andere AVI-Variante, zählt sie sehr wahrscheinlich (80%) zu den PTC- bzw. PROP-Nichtschmeckern.
Alle Substanzen, die diesen TAS2R38-Rezeptor aktivieren – also bitter schmecken – enthalten eine bestimmte gemeinsame Struktur, nämlich eine N-C=S Gruppe (siehe Kasten). Vor rund 80 Jahren entdeckte der Chemiker Arthur Fox durch einen Zufall, dass sich Menschen bezüglich der Fähigkeit, die Chemikalie PTC als bitter wahrzunehmen, in 2 Gruppen unterteilen ließen: Beim Versuch, etwas PTC-Pulver in eine Flasche umzufüllen, verschüttete er etwas davon, es staubte. Während sich sein Assistent sogleich über einen bitteren Geschmack im Mund beklagte, schmeckte Fox gar nichts, nicht einmal, als er die Kristalle direkt in den Mund steckte. Daraus schloss er, dass es Menschen mit verschiedener Geschmacks-Sensibilität gab, er definierte sie als SchmeckerInnen und NichtschmeckerInnen. Die daraufhin durchgeführte Studie von Albert Blakeslee zeigt, dass die Fähigkeit, PTC zu schmecken, eine dominante genetische Eigenschaft ist. Die ersten Geschmacks-Experimente fanden also schon vor über 50 Jahren statt, lange vor der modernen Molekularbiologie und der Entdeckung der TAS2R-Genfamilie. Das PTC sowie zahlreiche weitere Chemikalien, die bei solchen Untersuchungen verwendet bzw. als bitter identifiziert wurden, enthalten diese N-C=S Gruppe. Damals war es natürlich unmöglich, die molekularen Grundlagen zu klären, die zur Entstehung dieses Unterschiedes führten. Man konnte nicht ahnen, dass insbesondere der TAS2R38-Rezeptor für dieses Phänomen verantwortlich war.
Das Gen für den PTC-Geschmacksrezeptor, TAS2R38, wurde 2003 identifiziert (vgl. Drayna, Kim et al 2003). Ein Jahr später folgten dann die ersten Versuche über das Geschmacksempfinden von PTC und PROP verknüpft mit bitteren Lebensmitteln wie Rotwein, Kohl, Artischocken aber auch Spinat. Zwischen 2004 und 2005 erforschte man, dass drei Punktmutationen auf diesem Gen die die unterschiedlichen Geschmackswahrnehmungen bewirken. Im Jahr 2008 schlug Hayes vor, den Begriff Supertaster (also Superschmecker) nicht mehr zu verwenden, da für die Geschmackswahrnehmung mehrere Gene zuständig seien.
Phenylthiocarbamid (C7H8N2S), kurz PTC, ist eine organische Substanz, die einen bitteren Geschmack aufweist. Da diese Substanz in höheren Dosen krebserregend ist, wird in der medizinischen Forschung der Bitterstoff PROP (oder: 6-n-propylthiouracil) bevorzugt. Im Gegensatz zu PTC ist PROP in der verwendeten Dosierung unbedenklich für den menschlichen Organismus. In manchen Gemüsesorten (wie z.B. Brokkoli, Rettich oder Rosenkohl) werden sekundäre Pflanzenstoffe, sogenannte Glucosinulate gebildet, die die gleichen Strukturmerkmale wie PROP und PTC aufweisen, d.h. ebenfalls die Bitter-Rezeptoren ansprechen. Daher mögen manche Menschen, oft Kinder, diese Gemüsesorten nicht.
Literatur:
Fox AL. 1932.
The relationship between chemical constitution and taste.
Proc Natl Acad Sci USA. 18:115–120.
Blakeslee AF. 1932.
Genetics of sensory thresholds: taste for phenylthiocarbamide.
Proc Natl Acad Sci USA. 18:120–130.
Drayna D, Coon H, Kim UK, Elsner T, Cromer K, Otterud B, Baird L, Peiffer AP, Leppert M. 2003.
Genetic analysis of a complex trait in the Utah. Genetic Reference Project: a major locus for PTC taste ability on chromosome 7q and a secondary locus on chromosome 16p.
Hum Genet.112:567–572.
Hayes E.J. et al. 2008,
Supertasting and PROP Bitterness Depends on More Than the TAS2R38 Gene,
Chem. Senses 33: 255–265,
Text frei nach:
Prof. Dr. Wolfgang Meyerhof
Deutsches Institut für Ernährungsforschung
14558 Potsdam-Rehbrücke
Quellen:
http://www.spektrumdirekt.de/artikel/ 938948
http://www.spektrumdirekt.de
http://www.genecards.org/
http://www.rosenfluh.ch
http://www.hno-platte.de/news/wenige-geschmacksrezeptoren-erkennen-tausende-bitterstoffe
http://de.wikipedia.org/wiki/Geschmack_(Sinneseindruck)
"Feinschmecker gesucht!" von Prof. Dr. Meyerhof
Abb. 2 PROP, -N-C=S Gruppe rechts am Ring, C nur als Eckpunkt
Abb. 3 PTC, -N-C=S Gruppe in Seitenkette, C nur als Eckpunkt